Obwohl die Gravitation im Vergleich zu allen anderen Grundkräften die schwächste Kraft ist, dominiert sie unseren Alltag maßgeblich. Denn „Schwere“ ist neben der Trägheit eine Eigenschaft von Masse. Und damit ist die Schwerkraft normalerweise häufiger und deutlicher erfahrbar als z.B. die elektromagnetische Kraft (beispielsweise in Form eines Elektromagneten).
Während die Gravitation dafür sorgt, dass wir im Normalfall sprichwörtlich mit beiden Beinen auf dem Boden bleiben und Leben auf diesem Planeten ermöglicht, erweist sie sich sowohl in der Grundlagenforschung als auch in der anwendungsbezogenen Forschung manchmal als sehr hinderlich.
Um Experimente unter sog. Mikro-g-Bedingungen (meist lapidar, aber nicht völlig korrekt als Schwerelosigkeit bezeichnet) durchführen zu können, müsste man sie idealerweise ins All verlegen [1]. Beispielsweise auf die ISS oder eingebaut in einem Satelliten im Orbit. Verständlicherweise sind diese Möglichkeiten sehr aufwändig, teuer und insbesondere für Vortests komplett überdimensioniert.
Welche Möglichkeiten haben wir hier auf der Erde?
Neben weniger bekannten Alternativen wie dem High Altitute Ballooning (meist unter dem Begriff „Wetterballon“ bekannt – mit Helium oder Wasserstoff gefüllte Latex-Ballone, die Messequipment bis in hohe Atmosphärenschichten und damit in Prinzip schon in den Weltraum befördern können [2], [3]) sind natürlich die Parabelflüge [4] eine interessante Variante. Jedoch sind auch sie mit hohem Aufwand und hohen Kosten verbunden, eine Wiederholbarkeit ist für viele Experimente, jedenfalls in einem zeitlich vertretbaren Rahmen, nicht gegeben.
Hier kommen die Falltürme ins Spiel:
Mit Fallstrecken von bis zu 140 m und Fallzeiten von etwas mehr als 5 s [5], [6] (fast 10 s bei zusätzlicher Verwendung des Katapults am deutschen ZARM [7]) bieten Falltürme zwar eine eher geringe Zeit der Schwerelosigkeit, korrekter ausgedrückt, Mikrogravitation. Jedoch sind sie um ein Vielfaches günstiger, bieten die Möglichkeit, Experimente mehrfach hintereinander fallen zu lassen und so eine ausreichende Datenmenge zu erzeugen und sind insgesamt mit weniger Aufwand verbunden.
Da die Fallstrecke gemäß der Bewegungsgleichungen für den freien Fall (der Einfachheit halber wird die Reibung hier vernachlässigt) proportional zum Quadrat der Fallzeit zunimmt, gelangt man in Bezug auf längere Fallzeiten schnell an Grenzen [8] . Während man für eine Fallzeit von 2 s eine Strecke von ca. 20 m benötigt, sind es bei 3 s bereits 44 m. Ein Fallturm, der ohne Katapult-Technologie o.ä. eine Fallzeit von 10 s liefern kann, müsste demnach etwa 490 m hoch sein (zum Vergleich: Das Empire State Building ist einschließlich Antenne 443 m hoch).
Wann spielt die Luftreibung eine Rolle?
Neben diesen offensichtlichen Einschränkungen gibt es noch einen weiteren Grund, warum weltweit in erster Linie Falltürme mit einer Fallzeit von ca. 2 bis 2,2 s gebaut werden:
Ab ca. 1,8 – 2,0 s zeigt sich ein immer deutlicherer Einfluss der Luftreibung, so dass es bereits bei einer Fallzeit von 3 s schon zu einer erheblichen Abweichung in den Fallgeschwindigkeiten kommt und damit auch zu einer entsprechenden Verschlechterung in der Restbeschleunigung (ausgedrückt in einem Vielfachen von g, z.B. 10 -5 g) [9]. Für Experimente unter Mikro-gravitationsbedingungen muss aber diese Restbeschleunigung so gering wie möglich sein, damit der entsprechende Fallturm eine sinnvolle Alternative zu nicht-erdgebundenen Plattformen sein kann.
Hier bietet sich z.B. die Möglichkeit, Experimente im Vakuum fallen zu lassen und so die Luftreibung zu eliminieren oder eine sog. Dragshield-Technologie [10] einzusetzen (eine innere Kapsel mit Experiment fällt frei in einer äußeren Kapsel, die wiederum der Luftreibung ausgesetzt ist). Beide Varianten sind jedoch mit erheblichem Aufwand und z.T. hohen Kosten verbunden. Daher werden insbesondere Falltürme an kleineren Universitäten [11], [12] , die als Experimentplattform für Studenten oder für einfachere Vortests gedacht sind, meist für eine Fallzeit von ca. 2 s entworfen. Der Einfluss der Luftreibung bleibt noch gering, dennoch können gute Ergebnisse mit guter Restbeschleunigung (meist 10 -4 bis 10 -5 g [13]) erreicht werden.
Der Fallturm der GÖDE-Stiftung
Der Waldaschaffer Fallturm wird vermutlich eine Höhe von ca. 30 m haben und somit – abzüglich der Strecken für Abwurf- und Auffangeinheit – etwa eine Fallzeit von 1,8 – 2,0 s liefern.
Im Gegensatz zu anderen Falltürmen dieses Formats handelt es sich hierbei allerdings um einen Vakuum-Fallturm, der eine Restbeschleunigung von ca. 10 –5 bis 10 –6 g sowie die Möglichkeit zur Absolutmessung von Fallstrecke und Fallzeit geben soll.
Experimentierplattform für Universitäten und Industrie
Nach seiner Fertigstellung soll der Fallturm auch anderen Wissenschaftlern und Forschungseinrichtungen, aber auch Ingenieuren aus der Industrie für eigene Experimente zur Verfügung gestellt werden. Genaue Nutzungsbedingungen und Kosten pro Abwurf können allerdings erst nach Fertigstellung (nach derzeitigem Plan: Mitte bis Ende 2020) festgelegt werden.
Evaluierungsmodell
Um insbesondere die beste Technik für einen weitestgehend vibrationsfreien Abwurf zu finden und die als eine adaptierte Form der Wirbelstrombremse gedachte Abbremseinheit [14], [15] zu realisieren, wird derzeit eine Evaluierungsversion in verkleinertem Maßstab gebaut. Wenn alle nötigen Elemente des Fallturms entwickelt und optimiert sind, erfolgt der Bau des 2 s- Fall-turms. Ein Baubeginn ist jedoch nach jetzigem Stand nicht vor Anfang 2020 zu erwarten.
Literatur:
[1] V. A. Thomas et al.: „Microgravity research platforms – A study“, Current Science, Vol. 79, No. 3, August 2000. [2] gsbc: „What is a High Altitude Balloon [HAB]“, retrieved August 2nd, 2019. [3] UKHAS Wiki: „A beginners guide to high altitude ballooning“, retrieved August, 2nd, 2019. [4] N. Callens et al.: „ESA Parabolic Flights, Drop Tower and Centrifuge Opportunities for University Students“, Microgravity Sc. Technol. (2001) 23:181-189. [5] H. Dittus: „Drop Tower ‚Bremen‘: a weightlessness laboratory on Earth“, Endeavour, New Series, Volume 15, No. 2, 1991. [6] Z. Xiaqian et al.: „Some key technics of drop tower experiment device of National Microgravity Laboratory (China) (NMLC)“, Science in China, Ser. E: Engineering & Materials Science 2005, Vol. 48, No. 3, 305-316. [7] P. von Kampen et al.: „The new Drop Tower catapult system“, Acta Astronautica 59 (2006) 278-283. [8] virtual Maxim: „Freier Fall mit und ohne Luftwiderstand“, retrieved August 1st, 2019. [9] K. Phillips, „Development of the West Virginia University Small Microgravity Research Facility (WVU SMiRF)“, MSAE thesis, Statler CEMR MAE, West Virginia University, Morgantown, WV, 2014. [10] PSU Dryden Drop Tower – Frequently Asked Questions, retrieved August 1st, 2019. [11] A. Wollman, M. Weislogel: „New investigations in capillary fluidics using a drop tower“, Exp. Fluids (2013) 54: 1499. [12] K. Phillips, J. K. Kuhlman: „Development of the WVU Small Microgravity Research Facility (SMirRF)“, IAA SciTech Forum, 3rd AIAA Aerospace Sciences Meeting, Florida, January 2019. [13] B. J. Arjun et al.: „Experiments in reduced gravity space enviroment using 1.1 second drop tower and challenges involved“, Proceedings of the 2nd National Propulsion Conference NPC 2015, IIT Bombay, Powai, Mumbai. [14] Coasters and More: „Achterbahnbremsen – Von der Reib- zur Wirbelstrombremse“, retrieved August 2nd. [15] A. Pendrill et al.: „Stopping a roller coaster train“, Physics Education, Vol. 47, No. 6, 2012.