Das Higgs-Teilchen entstammt ursprünglich einer Idee des Physikers Peter Higgs aus dem Jahr 1964. Die Idee war, dass ein Teilchen existiere, welches den anderen Materie-Teilchen Masse verleiht. Damals war man der Ansicht, dass Quarks, Elektronen und Neutrinos, ihrer mathematischen Definition nach, keine Masse besitzen, wodurch sie sich entgegen der Beobachtungen mit Lichtgeschwindigkeit bewegen würden – irgendetwas musste sie also bremsen. Nach Higgs Theorie sollen die Higgs-Teilchen ein feinmaschiges Netz bilden, in dem die Bestandteile der Materie hängen bleiben. Sie agieren wie ein Klebstoff, der die Elementarteilchen zusammenhält [1], [2], [3].
2013 haben Higgs und seine Partner den Nobelpreis für ihre Theorie bekommen, nachdem im Sommer 2012 im CERN erstmals Higgs Bosonen gefunden und nachgewiesen wurden [2], [4]. Durch den Fund der Higgs Bosonen am LHC wurde das Standardmodell der Teilchenphysik vervollständigt. Es besteht aus zwölf Elementarteilchen, auf welche die gesamte sichtbare Materie des Universums zurückgeführt werden kann. Higgs Bosonen sind elektrisch neutrale Austauschbosonen mit Spin 0 (Skalarfeld), deren Masse sehr hoch sein muss. Experimentell ließ sich die Massengrenze oberhalb von 114 GeV einordnen [2], [5].
Bis zur Entdeckung des Higgs-Teilchens im LHC war unklar, wie die Teilchen des Standardmodells zu ihrer Masse kommen. Die Masse von zusammengesetzten Teilchen wie zum Beispiel Protonen oder Neutronen konnte auf die starke Wechselwirkung zwischen ihren Bausteinen, also den Quarks, zurückgeführt werden. Denn durch die dynamischen Prozesse im Inneren wird nach Einsteins Formel Energie in Masse umgewandelt. Bei der Erklärung, wie die Elementarteilchen zu ihrer Masse kommen, versagte dieser Ansatz jedoch, da diese Teilchen keine innere Struktur besitzen, wodurch innerhalb der Teilchen keine Wechselwirkung zwischen verschiedenen Teilchen stattfindet und somit der Mechanismus mit Einsteins Formel E=mc² nicht mehr funktioniert [1], [5], [6].
Neben dem Problem der Massen ergab sich ein weiteres Problem: Bei dem Versuch, die Masse von Elementarteilchen in das Standardmodell zu integrieren traten unter anderem Wahrscheinlichkeiten von über hundert Prozent auf und es kam zu gravierenden inneren Widersprüchen. In der Vergangenheit wurde dieses Problem, sofern es auftrat, gelöst, indem neue Teilchen eingeführt wurden. In diesem Fall musste jedoch nicht nur ein neues Teilchen eingeführt werden, sondern ein neues Prinzip – den Higgs-Mechanismus.
Unabhängig voneinander entwickelten Francois Englert, Robert Brout und Peter Higgs den sogenannten Higgs-Mechanismus. Bei den folgenden Veröffentlichungen beleuchteten sie jeweils unterschiedliche Aspekte jedoch mit dem gleichen Grundgedanken: Die Elementarteilchen selbst besitzen die Masse Eigenschaft nicht [1], [6]. Der Begriff der Masse wurde umdefiniert und es wurde ein Feld postuliert, welches den gesamten Raum erfüllt und mit welchem die massebehafteten Elementarteilchen wiederum in Wechselwirkung treten und abgebremst werden. Der Higgs-Mechanismus beschreibt also, dass das Higgs-Feld, welches sich unendlich im Raum erstreckt, Teilchen mit Masse ausstattet und somit die spontane Symmetriebrechung bewirkt. Die Berechnungen von Englert, Brout und Higgs ergaben außerdem, dass die Einführung des Higgs-Feldes auch mit der Einführung eines neuen Elementarteilchens einher geht: das Higgs-Boson. Das Higgs-Boson koppelt sich an alle Teilchen und kann mit jedem wechselwirken, wobei die Stärke der Kopplung proportional zur Masse des Teilchens ist. Je mehr Masse dieses Teilchen hat, desto leichter kann es außerdem das Higgsfeld in Schwingungen versetzen [2].
Dank jahrelanger Messungen im LHC und Abgleich gesammelter Daten konnte die Masse des Higgs-Teilchens auf zwischen 114 und 180 Gigaelektronenvolt geteilt durch c2 beschränkt werden. Da es einige Jahre dauerte, bis die Theorie 2012 wirklich bestätigt werden konnte und Higgs-Bosone nachgewiesen werden konnte, kamen mit der Zeit neue Theorien auf, welche einen alternativen Mechanismus oder einen modifizierten Higgs-Mechanismus beschrieben. Die Kritik der Theoretiker lag unter anderem darin, dass das Higgs-Teilchen einen ungewöhnlichen und unüblichen Eigendrehimpuls von Null hat und außerdem ausschließlich das Problem der Masse löst, wodurch der Mechanismus teils als „Hilfskonstruktion“ angesehen wurde [6].
Am 4.07.2012 wurde schließlich am LHC nach Billionen von gemessenen Daten verkündet, dass ein neues Teilchen nachgewiesen werden konnte, bei welchem Produktionsweise, Zerfall, Eigendrehimpuls und Masse so ausfallen, wie erwartet wurde [6].
Es gibt auch heute noch einige unbeantwortete Fragen, wie zum Beispiel ob das Higgs-Teilchen sich auch an sich selbst koppelt, um sich selbst Masse zu verleihen und ob derselbe Mechanismus auch für Kräfteteilchen gilt. Um diese Fragen beantworten zu können wird allerdings fortgeschrittene und verbesserte Technik, also bessere Detektoren und feinere Analysemethoden, benötigt, wenn nicht sogar ein neuer (Linear-)Beschleuniger [6].
Ein anderes Problem bietet außerdem die Gravitation – denn wenn diese hinzugezogen wird bricht das Standardmodell zusammen, da die Gravitation nicht Teil des Modells ist. Es müssen interne Korrekturen vorgenommen werden, wodurch das Modell zwar konsistent bleibt, jedoch weit entfernt von einer einfachen oder ästhetischen Theorie ist [6].
[1] Welt der Physik: Das Higgs-Teilchen, (Link: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/bausteine/higgs/), aufgerufen am 15.07.2020 [2] Lexikon der Astronomie: Higgs-Teilchen, (Link: https://www.spektrum.de/lexikon/astronomie/higgs-teilchen/176), aufgerufen am 15.07.2020 [3] Higgs, Peter W.: Broken Symmetries and the Masses of Gauge Bosons, Tait Institute of Mathematical Physics, University of Edinburgh, 31.08.1964 [4] MLA style: The Nobel Prize in Physics 2013, (Link: https://www.nobelprize.org/prizes/physics/2013/summary/), aufgerufen am 16.10.2020 [5] Krause, Michael: CERN – How We Found the Higgs Boson, 08/2014 [6] Pollmann, Maike: Der Higgs-Mechanismus – von einer Idee zum Nobelpreis, (Link: https://www.weltderphysik.de/gebiet/teilchen/bausteine/higgs/higgs-mechanismus/) 07.07.2014, aufgerufen am 29.10.2020Weiterführende Literatur:
[7] Barth, A.; Marx, W.; Bornmann, L.; Mutz, R.: On the origins and the historical roots of the Higgs boson research form a bibliometric perspective; The European Physical Journal Plus 129, Article No. 111, 06.06.2014 [8] Cho, Adrian: Higgs Boson Makes Its Debut After Decades-Long Search; Science Vol. 337, Issue 6091; 13.07.2012 [9] Dittmar, M.; Dreiner, H.: How to find a Higgs boson with a mass between 155 and 180 GeV at the CERN LHC, Phys. Rev. D 55, 167; 01.01.1997 [10] Duhrssen, M.; Heinemeyer, S.; et. Al.: Extracting Higgs boson couplings from CERN LHC data; Phys. Rev. D 70, 113009; 10.12.2004